Papyrologische Quellen zur Geschichte der Ptolemäischen Dynastie im 3./2. Jahrhundert v. Chr.

Papyrologische Quellen zur Geschichte der Ptolemäischen Dynastie im 3./2. Jahrhundert v. Chr.

Organisatoren
Patrick Reinard, Papyrologie, Universität Trier
Ort
Trier
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
20.10.2022 - 21.10.2022
Von
Peter Christian Meis, Alte Geschichte/Papyrologie, Universität Trier

Ziel des erstmals stattfindenden Workshops „Texte und Themen der Trierer Papyrussammlung“ soll es sein, neueste Forschungsergebnisse, -vorhaben und Diskussionsfragen im Zusammenhang mit der Trierer Papyrussammlung, aber auch generell im Zusammenhang mit dem Trierer Zentrum für Altertumswissenschaften (ZAT) zu diskutieren und einer interessierten Forschungsöffentlichkeit zu präsentieren. Dabei sollen auch und vor allem laufende Promotionen berücksichtigt werden. Der erste Tag des Workshops wurde zur Präsentation der Papyrussammlung genutzt. Am folgenden Tag begrüßte Patrick Reinard als Veranstalter die Teilnehmenden und betonte dabei die inhaltlichen Schnittstellen der einzelnen Vorträge.

Im ersten Vortrag stellte SPYRIDOULA BOUNTA (Trier) neue Erkenntnisse zu bisher nicht publizierten Papyri aus der Trierer Sammlung vor. Bis auf einen Papyrus (FO: Arsinoites) stammen alle anderen vorgestellten aus dem Herakleopolites, und alle lassen sich in die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. datieren. Die Papyri lassen sich in drei Gruppen aufteilen; besonderes Augenmerk legte Bounta auf eine Gruppe von Papyri aus dem Zeitraum von 145–130 v. Chr., bei denen es sich um Briefe, Petitionen und Beschwerdeschreiben zu finanziellen, rechtlichen und administrativen Anliegen handelt. Anhand dieser Dokumente lassen sich neue prosopographische Erkenntnisse über königliche Schreiber und Strategen des Gaus gewinnen. Als Beispiele seien hier nur die königlichen Schreiber Pesouris und Eubios genannt. Während der Beginn der Amtszeit des Pesouris bisher in das Jahr 144 v. Chr. datiert worden ist, wurde nun ersichtlich, dass er schon seit mindestens 145 v. Chr. als Schreiber gedient haben muss. Bei Eubios verhält es sich ähnlich: Sein Amtszeitende war bisher unbekannt, laut Bounta lässt es sich nun in die Zeit nach 132 v. Chr. datieren. Auch sein Nachfolger ist nun sicher benennbar; es ist Haronnophris. Anhand der zweiten Gruppe von Texten seien Verbindungen der Trierer Sammlung zu anderen Sammlungen aus Yale, Kairo, London oder Paris nachweisbar. Bei der dritten Gruppe von Papyri handelt es sich um zwei Einzeldokumente, die vor allem aus linguistischer Sicht interessant seien, so würden hier neben seltenen Wörtern auch neue Beamtentitel genannt.

SANDRA SCHEUBLE-REITER (Saarbrücken) und MARIUS GERHARDT (Berlin/Halle a.d.S.) präsentierten einige Überlegungen zu P.Trier II 151, einer Militärakte, die vermutlich aus dem Herakleopolites stammt. Grund für die Schaffung dieser Akte seien wohl Unklarheiten innerhalb der Militärverwaltung gewesen. So habe der aus Syrien zurückgekehrte Soldat Antiphilos durch dieses Schreiben ihm zustehende und von Ptolemaios VI. zugesicherte Privilegien eingefordert. Die Akte lasse sich in drei Teile gliedern: die amtliche Korrespondenz des Antiphilos, das Prostagma Ptolemaios’ VIII. vom 17.9.145 v. Chr. und den Bericht der Schreiber mit vorherigen Erlassen von Ptolemeios VI. und Ptolemaios VIII. Die Vortragenden konzentrierten sich auf die Datierung einzelner Prostagma der Akte, schlugen eine Neulesung und Neudatierung eines Erlasses Ptolemaios’ VI. vor und gewährten dadurch neue Einblicke in den Herrscherwechsel des Jahres 144 v. Chr. im ptolemäischen Ägypten.

GARANCE CLAPUYT (Brüssel) beschäftigte sich mit Texten aus der Brüsseler Sammlung, die in Verbindung zu Dokumenten aus Trier stehen. Sie unterschied zwischen verschiedenen Arten von Verbindungen: direkten Verbindungen, bei denen Fragmente ein und desselben Dokuments direkt oder nicht direkt aneinander passen, und indirekten Verbindungen, bei denen dieselben Personen o.ä. in verschiedenen Dokumenten genannt werden. Als Beispiel präsentierte sie einen Steuerbrief vom 20. Februar 252 v. Chr., der sich aus verschiedenen Fragmenten der Brüsseler und Trierer Sammlung zusammensetzen lässt (P. Brux. Inv. E. 8860 + P. UB Trier S 77-15) und den Namen Nikobios nennt. Der Name sei auch aus weiteren Dokumenten der Sammlungen bekannt, unter anderem aus einem weiteren Brief, der sich jeweils zur Hälfte in einer der beiden Sammlungen befindet. Clapuyt betonte die Bedeutung der Vernetzung verschiedener Sammlungen, durch die neue Erkenntnisse gewonnen werden können.

SARA MARMAI (Trier) präsentierte neue Details zu Aspekten der Bodenbeschaffung und des Weizenanbaus in Ägypten in der Mitte des 2. Jh. Die von ihr bearbeiteten Trierer Papyri (P. UB S77-9 [1–39]) lassen sich alle in den Spätsommer 163 v. Chr. datieren und stammten wohl aus einem Register vorläufiger Fiskalabrechnungen. Während bisher bekannt war, dass der Bodenzustand vom zuständigen Schreiber in fünf verschiedene Kategorien unterteilt wurde, machte Marmai darauf aufmerksam, dass anhand der Trierer Papyri eine 6. Kategorie nachweisbar sei, als Übersetzung schlug sie den Begriff „Ödland“ vor. Ein weiterer auffälliger Begriff ist der des „grünen Weizens“, der in einigen Papyri erwähnt wird. Hier könnte es sich um unreifen Weizen gehandelt haben, der geröstet gegessen werden könne, wie aus anderen Dokumenten bekannt sei (PSI IV 427, 8–9). Marmai wies jedoch auch darauf hin, dass grüner Weizen sich auch unbeabsichtigt entwickelt haben könnte, etwa durch verspätete Aussaat oder aufgrund schlechter Bodenqualität.

JULIA LEHN (Trier) sprach über die Dionysos-imitatio unter den ptolemäischen Herrschern. Auffällig sei ein relativ früher Wandel in der Legitimationsstrategie der Ptolemäer; als wichtige Quelle dafür identifizierte Lehn die sogenannte Adulis-Inschrift2 von Ptolemaios III. aus dem Jahr 246 v. Chr. In dieser wurden Zeus, Dionysos und auch Herakles in die Ahnenreihe des Herrscherhauses aufgenommen. Während sich die vorherigen Ptolemäer noch vor allem durch Alexander legitimiert hätten (Alexandergrab, Leichenzug des Alexander), sei es seit Ptolemaios III. zu einer anhaltenden Steigerung der Legitimation über den mythologischen Vorfahren Dionysos gekommen, deren Höhepunkt unter Ptolemaios XII. erreicht worden sei, der sich durch sein Flötenspiel übermäßig dionysisch präsentiert habe und den Beinamen „Neos Dionysos“ erhielt. Trotz dieser Fokussierung auf Dionysos habe der Alexanderkult innerhalb des Familienkultes stets seine Relevanz behalten.

MARTINA MINAS-NERPEL (Trier) referierte über die Dekoration des Tempels des Amun-Re in Karnak, wobei ein besonderer Fokus auf der Hauptachse und ihrer mehrere Jahrhunderte andauernden Baukontinuität lag. Sein heute charakteristisches Aussehen habe der Tempel zur Zeit des Neuen Reiches erhalten, so seien in diesem Zeitraum unter anderem die Pylone 2, 3 und 4 erbaut worden. Doch auch Alexander und die Ptolemäer hätten Spuren im Bau hinterlassen. So habe Alexander einen Raum im Ahmenu Amenophis’ III. dekorieren lassen, und am 4. Pylon könne man eine Bauinschrift in dessen Namen finden. Aus ptolemäischer Zeit errege vor allem die Restauration der Südseite des 4. Pylons Aufsehen. Dessen Leibung zeige eine Prozession Ptolemaios’ VIII. und Kleopatras III.; die gegenüberliegende Nordseite ist heute zerstört. Minas-Nerpel erläuterte, dass an der Nordseite eine Prozession Ptolemaios’ VIII. mit seiner ersten Frau Kleopatra II. dargestellt gewesen sein muss. Eine solche axiale Trennung sei nötig gewesen, da es schwierig sei, den König mit zwei Königinnen darzustellen. Eine ähnliche Umsetzung einer axialen Trennung derselben Paare sei auch aus dem Opet-Tempel in Karnak bekannt.

STEFAN PFEIFFER (Halle a.d.S.) sprach über die ptolemäische Herrscherfamilie als prospektive Erinnerungsgemeinschaft. Er konzentrierte sich auf die Wahrnehmung der Dynastie in der griechischen und ägyptischen Welt. So hätten die Konzepte des Herrscherkultes, bestehend aus Homonymie, similitudo, Geschwisterheirat und Göttlichkeit nicht dem griechischen Geschmack entsprochen. In der ägyptischen Welt hätten Priester auf den alten ägyptischen Ahnenkult zurückgegriffen, um griechische Konzeptionen der Ptolemäer an ägyptische Vorstellungen anzupassen. Als wichtigen Teil dieser Strategie identifizierte Pfeiffer die göttliche Genealogie der Ptolemäer, dabei verwies auch er auf die Adulis-Inschrift, in der Ptolemaios III. Euergetes sich als Abkomme von Herakles (und dadurch auch von Zeus) und Dionysos in 24. Generation darstellen ließ. Darüber hinaus hätten ägyptische Priester die Ptolemäer in die Nachfolge der Pharaonen gestellt und als Inkarnation des Horus präsentiert. Dies sei wichtig gewesen, weil im ägyptischen Kontext die familiären Vorfahren unbedeutend, die mythischen Vorfahren, hier vertreten durch griechische und ägyptische Gottheiten, jedoch von Belang gewesen seien.

FRANK DAUBNER (Trier) folgte mit einem Vortrag über die Makedonen im Ptolemäerreich. Die seit Fritz Moritz Heichelheim vorherrschende Forschungsmeinung sei, dass es sich beim Begriff Makedon, der in publizierten wie auch unpublizierten3 Papyri der Trierer Sammlung nachweisbar ist, um eine Berufsbezeichnung gehandelt habe. Dies sei in den Quellen so allerdings nicht fassbar, es könnte sich vielmehr um ethnische Makedonen gehandelt haben. Daubner verwies auf den Anstieg der Zahl der Makedonen ab dem Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. unter den Kleruchen, aber auch unter den Katökenreitern. Grund dafür sei eine gezielte Politik der Ptolemäer gewesen, die sich von dieser Zuwanderung militärische und auch landwirtschaftliche Vorteile erhofft haben könnten. Einen weiteren starken Anstieg der Makedonen seit der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. führte Daubner auf deren Niederlage im 3. Makedonischen Krieg zurück. So könnten etwa 2.000 Makedonen nach Ägypten geflohen sein. Die gute Verbindung zwischen Antigoniden und Ptolemäern spräche ebenso dafür wie eine Abneigung Ptolemaios’ VI. Philometor den Römern gegenüber.

PATRICK REINARD und RAPHAEL RUF (beide Trier) gaben zunächst Einblick in das neu gegründete PapyHyp-Projekt. Ziel dieses in Kooperation mit der Geoinformatik der Universität Trier durchgeführten und von der Nikolaus-Koch-Stiftung geförderten Projektes sei es, die Papyri aus der Trierer Sammlung mit einer Hyperspektralkamera zu scannen. Die dadurch entstehenden multispektralen Scans bieten eine sehr gute Ausgangsbasis für das Forschungsarbeiten an den Papyri und für den Einsatz in Lehrveranstaltungen. Sobald die Sammlung komplett gescannt worden ist, sollen die Scans der Öffentlichkeit in einer Datenbank zugänglich gemacht werden. Anschließend stellten Reinard und Ruf verschiedene bisher nicht publizierte Textfragmente aus der Trierer Sammlung vor. Dabei konnten u.a. bei P. UB Trier S 84-12 und P. UB Trier S 84-15, bei denen es sich um Fragmente einer amtlichen Nachricht bzw. einer Eingabe aus dem 3./2. Jahrhundert v. Chr. handelt, denkbare inhaltliche Zusammenhänge diskutiert werden; beide Texte stammen aus dem direkten Umfeld eines mit den Sitologen verbundenen Beamten namens Dioskurides.

Konferenzübersicht:

Patrick Reinard (Trier): Begrüßung und Einleitung

Spyridoula Bounta (Trier): 20 papyri from the middle of the 2nd century BC from the collection of Trier

Sandra Scheuble-Reiter (Saarbrücken) / Marius Gerhardt (Berlin/Halle a.d.S.): Bemerkungen zu P. Trier II 15

Sara Marmai (Trier): „The Salt of the Earth”: Überlegungen zur ägyptischen Landwirtschaft um die Mitte des 2. Jh. v. Chr. im Lichte einiger Trierer Papyri (P. UB S 77 9 [1–39])

Garance Clapuyt (Brüssel): Papyri without borders: reconstructing documents and dossiers

Julia Lehn (Trier): Von Alexander zu Dionysos – Beobachtungen zum Wandel der dynastischen Legitimation der Ptolemäer

Martina Minas-Nerpel (Trier): Die Dekoration der Hauptachse des Tempels des Amun-Re in Karnak in makedonischer und ptolemäischer Zeit

Stefan Pfeiffer (Halle a.d.S.): Die Dynastie der Ptolemäer als prospektive Erinnerungsgemeinschaft

Frank Daubner (Trier): Makedonen im Ptolemäerreich. Überlegungen zu P.Trier I 13 und weiteren Quellen

Patrick Reinard / Raphael Ruf (Trier): Das „PapyHyp“-Projekt und die Arbeit an neuen ptolemäischen Fragmenten aus der Trierer Sammlung (P.UB S 84-9, 84-11, 84-12, 84-14 u. 84-15)

Anmerkungen:
1 Cindy Werner, Stellenbesetzung und Besoldung in der Militärverwaltung der Ptolemäerzeit (P.Trier II 15) (Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete, Beihefte, Bd. 38), Berlin/ Boston 2019.
2 Die Inschrift ist bekannt aus dem Bericht des Kosmas Indikopleustes, dazu auch: Horst Schneider, Kosmas Indikopleustes. Christliche Topographie – Textkritische Analysen, Übersetzung, Kommentar, Turnhout 2010, S. 63–66.
3 Z.B. P. UB Trier S188-30 oder P. UB Trier S159-06.

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